"Enter" drücken, um zum Inhalt weiterzugehen

Hartz IV – Lesung mit Bettina Kenter-Götte

Sind 68 Euro im Monat ausreichend für eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung? Bestimmt nicht, doch diese Ansicht hat 2008 ein Wirtschaftswissenschaftlicher vertreten. Wer auf „Hartz VI“ angewiesen ist, erhält zwar etwas mehr Geld für Lebensmittel, doch auch 3,80 pro Tag für Lebensmittel reichen nicht aus, um einen Heranwachsenden satt zu bekommen.

Die Schauspielerin und ehemals alleinerziehende Mutter Bettina Kenter-Götte, 68, war in ihrem Leben dreimal von Armut betroffen, trotz Abiturs, internationaler Erfolge und diverser Autorenpreise. Eingeladen vom Protestantischen Diakonissenverein, schilderte sie ihre Erfahrungen mit Hartz IV.

Wer sich wegen Unterstützung an die entsprechende Stelle wendet, wird bereits im Vorfeld mit Sanktionsandrohungen konfrontiert. Danach folgt ein Antrag, der, samt Anlagen, durchaus 67 Seiten umfassen kann. Bis schließlich etwas überwiesen wird, dauert es oft acht bis elf Wochen – viel zu lange für jemanden, der darauf angewiesen ist. Und jeder zweite Bescheid ist fehlerhaft (meist zu Ungunsten der Armen). Gegen zehn von elf Bescheiden, die sie während eines Jahres bekam, hatte Bettina Kenter-Götte Widerspruch einlegen müssen.

Jedes Jahr, so Kenter-Götte, sind 34.000 Menschen von den sogenannten Vollsanktionen betroffen. Sie bekommen kein Geld für Essen, Strom, Heizung oder anderes Lebensnotwendige. Jede „Sanktion“ bedeutet Hunger, bei einer „Vollsanktion“ wird auch der Krankenversicherungsschutz entzogen. Für Kenter-Götte sind die Sanktionen vergleichbar mit den mittelalterlichen Leib- und Hungerstrafen. Bekämpft werden damit die Armen, nicht die Armut.

Ein großer Teil der von Hartz IV Betroffenen sind alleinerziehende Mütter (vierzig Prozent von ihnen sind auf staatliche Leistungen angewiesen), physisch und psychisch Erkrankte, Künstler*innen, pflegende Angehörige, meist Frauen. Als „langzeitarbeitslos“ gilt man – auch nach langem Berufsleben – nach nur einem Jahr Arbeitslosigkeit. Tatsächlich „lange arbeitslos“, d.h., sehr mehreren Jahren, sind lediglich ca. zehn Prozent der Leistungsberechtigten. JedeR Vierte bei Hartz IV arbeitet und muss wegen zu geringen Lohns mit Hartz IV „aufstocken“.

Für viele Betroffene wäre es in den Augen von Kenter-Götte ein riesiger Schritt, zum alten System (Arbeitslosengeld – drei Jahre – und Arbeitslosenhilfe) zurückzukehren.

Sie musste die Erfahrung machen, dass ihre eigenen Freunde mit Unglauben auf das reagiert haben, was sie erlebt und erzählt hat. Kaum jemand, sagt sie, traut sich zu sagen, dass er betroffen ist oder war, wenn er nicht ausgegrenzt werden will – Hartz-IV-Empfänger*in zu sein ist rufschädigend. Mit ihrem Buch und ihren Vorträgen über die „Parallelwelt“ Hartz IV sorgt sie dafür, dass Hartz IV ein Gesicht bekommt.